Aufsatz von Prof. Dr. Rolf Bothe

 

Fast alle bekannten Neubauten zwischen 1816 und 1845 wurden von der Oberbaubehörde ausgeführt. Nur in den seltensten Fällen können ausländische Baumeister benannt werden. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit als Oberbaudirektor zeichnete Coudrays zu diesem Zeitpunkt einziger Mitarbeiter, Baurat Carl Friedrich Steiner, für die Durchführung verschiedener Kirchenbauten verantwortlich, so für die 1820 errichtete Kirche von Kalbsrieth im Kyffhäuserkreis und die gleichzeitig erbaute Kirche in Süßenborn bei Weimar. Die weitaus meisten Kirchen im Großherzogtum errichtete Coudray in enger Zusammenarbeit mit Heinrich Heß. Heß war der fähigste Mitarbeiter Coudrays in der Oberbaubehörde. Er hatte in Heidelberg und Jena „Cameralwissenschaften, Architektur, sowie Wasser- und Wegebau“ studiert. Nach der Rückkehr von einer mehrjährigen Studienreise, die ihn nach Holland, Frankreich und Italien führte, widmete sich Heß vorzugsweise dem Kirchenbau in Thüringen und lieferte für mehrere Kirchen eigenständige Entwürfe ab.1 In Rastenberg war er als Bauleiter Coudrays für die Durchführung des Neubaus der Liebfrauenkirche verantwortlich.

[caption]Clemens Wenzeslaus Coudray, hier als Herzoglicher Oberbaudirektor zu Weimar in seinem 50. Lebensjahr. Eine Zeichnung von Schmeller. Mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Klassik Weimar[/caption]

Die unter Coudrays Leitung entwickelten Kirchen folgen in der Grundrißanlage meistens der seit dem Mittelalter in Thüringen üblichen Form einer rechteckigen Saalkirche mit einem Turm. Die in Thüringen häufigen Osttürme werden, auch wenn sie von einem Vorgängerbau übernommen wurden, für den Ausbau einer Sakristei mit vorgestelltem Kanzelaltar genutzt. Häufig wandelt Coudray den Turm dahingehend ab, daß der obere Teil in ein oktogonales Turmgeschoß übergeht und von einer ebenfalls oktogonalen Laterne oder einer geschweiften Haube abgeschlossen wird. Im Nachlaß Coudrays befindet sich ein unbezeichneter Entwurf zu einem Kirchturm, der möglicherweise eine Variante zum Kirchturm in Rastenberg oder eine Studie zu einem Typenentwurf  betrifft. Für einen Typenentwurf spricht, daß in der Zeichnung die Anbindung an ein Kirchenschiff fehlt. Der Entwurf enthält alle Elemente, die Coudray in den Türmen seiner Kirchenbauten zur Anwendung bringt.

Für eine typologische Studie zum Thema Kirchturm sprechen auch die sorgfältig ausgearbeiteten Darstellungen der Dachkonstruktionen von Turmhelm und der Haube über der Laterne, sowie die genauen Darstellungen der Glockenstühle. Die Turmfenster, beziehungsweise die Schalllöcher werden durch die Größe, Anzahl und Anbringung der Glocken bestimmt. So hängt die große Glocke vor einem großen Fenster, die kleinen Glocken vor runden Schalllöchern.

Auch für den Kirchinnenraum versuchte Coudray, verbindliche Ausdrucksformen umzusetzen. Eine Grundregel für den protestantischen Kirchenbau, die schon im 17. und 18. Jahrhundert Gültigkeit besaß, bestimmt die Stellung von Altar, Kanzel und Taufstein in der Mittelachse der Kirche. Der Berliner Architekt Louis Catel hatte diese Regel in seiner Schrift „Grundzüge einer Theorie der Bauart protestantischer Kirchen“ 1815 noch einmal bekräftigt, und für Coudray wurde sie zur Maxime in den meisten seiner Kirchenbauten.

Fast alle von der Oberbaubehördebetreuten Sakralbauten sind Saalkirchen mit zweigeschossigen Emporen. Der Kanzelaltar ist immer zweigeschossig mit dreiachsiger Pilastergliederung. Die Kanzelwand wird meistens von einem Giebel abgeschlossen, der die Wandbreite oder nur den Mittelrisalit umfasst. Die Altarwand assoziiert im Obergeschoß einen antiken Triumphbogen, der Gesamtaufbau läßt dagegen eher an Kirchenfassaden der oberitalienischen Frührenaissance denken, ohne daß aber ein bestimmtes Vorbild zu benennen wäre.

In Coudrays Nachlaß haben sich nur wenige Zeichnungen zu Thüringer Kirchen erhalten. Einen sehr wichtigen Entwurf bildet eine Skizze Coudrays zu einem Kanzelaltar. Die dem Palladiomotiv ähnliche Form, hier mit dem sogenannten syrischen Bogen, findet sich in der römischen Antike am Kanopos der Villa Hadriana genau so wie in der Renaissance an der Gartenfassade der Villa Medici in Rom oder der Loggia im Hof der Villa Giulia. In der Gesamtkomposition erscheint die in den Kirchenraum eingestellte Kanzelwand Coudrays als eigenständige Architektur in Form einer Fassade. Für welche Kirche der hier abgebildete  Entwurf bestimmt war, ist angesichts der sehr ähnlichen Motive in mehreren Kirchen Thüringens nicht festzustellen.

 

Die ausgeprägteste Form eines Kanzelaltars zeigen die vorzüglich restaurierten Kirchen von Rastenberg und Hopfgarten. Beide Kirchen ähneln sich stark im Aufbau ihrer Innenräume. Das jeweilige Kirchenschiff wird von einer Holztonne überwölbt, die zweigeschossigen Emporen sind flach gedeckt.Durch den Einbau der Altarwand vor den Turm ist die Kanzel in Rastenberg und in den meisten Saalkirchen über das Turmgeschoß leicht zu erreichen.

 

 

Den bedeutendsten Kirchenneubau Coudrays stellt die 1826 geweihte Liebfrauenkirche in Rastenberg dar. In seinen Lebenserinnerungen erwähnt er u.a. die neuen Kirchenbauten in Tannroda und Zickra und fährt dann fort: „den wichtigeren Kirchenbau erhielt ich zu Rastenberg nach dem Brande, welcher dieses Städtchen größtentheils verheerte.“2 Nach dem erwähnten Brand im Jahre 1824 konnte der Bauplatz in Rastenberg frei gewählt werden, sodaß der stattliche Bau den baumbestandenen Platz wie den Ort gleichermaßen dominiert. Die dem weiten und offenen Platz zugewandte Westfassade ist durch einen zweigeschossigen, reich gestalteten Mittelrisalit besonders hervorgehoben. Über drei halbrund abgeschlossenen Eingangsportalen ist eine fünfachsige Arkadenreihe angeordnet. Drei der Arkaden sind als Fenster geöffnet. Der Risalit ist von kräftigen Lisenen umrahmt und wird von einem hohen, in die Dachzone reichenden Giebel abgeschlossen. Die für den Ort sehr große Kirche weist sieben Fensterachsen auf. Der über einem Quadrat errichtete Ostturm geht im Obergeschoß in einen achteckigen Turmaufbau über. An den beiden Längsseiten sind jeweils in der Mitte die von Coudray häufig verwendeten Rundbogenportale vor die Fassade gesetzt. Dach, Gauben und Turmlaterne sind verschiefert.

Die nicht sehr regelmäßig behauenen Quader des gesamten Baues lassen vermuten, daß die Kirche ursprünglich mit Ausnahme der Gliederungselemente verputzt war. Nach Coudrays Entwurf wurden die Bauzeichnungen von seinem Mitarbeiter Heinrich Heß angefertigt, der vor Ort auch die Bauleitung innehatte.3 Die von innen nach außen konsequent durchkonstruierte Kirche stellt den überzeugendsten und qualitätvollsten Sakralbau Coudrays dar.

Im Kircheninnern markieren die Pfeiler der zweigeschossigen Emporen die sieben Fensterachsen der Kirche, und über jedem Fenster ist eine Dachgaube angebracht, die in die tonnengewölbte Decke einschneidet und die Saalkirche auch von oben gleichmäßig ausleuchtet. Farbig abgesetzte Gurtbänder über den Emporenpfeilern unterstreichen die tektonische Struktur.
 
Die Farbigkeit des Innenraums ähnelt denen anderer Kirchen Coudrays. Tragende Architekturglieder wie Pfeiler und Pilaster sind weiß gestrichen, Wölbung, Decken und Wandfelder in einem hellen Steingrau gefasst, Die Brüstungen der Emporen sind hellblau und weiß abgesetzt. Sparsame Vergoldungen an Architekturgliedern erhöhen den festlichen Eindruck des Gotteshauses.

An der Westwand des Kirchenschiffsist nur eine Empore angebracht, um ausreichend Platz für die große Orgel zur Verfügung zu haben. Die Orgel selbst stammt von dem bekannten Thüringer Orgelbauer Johann Friedrich Schulze aus Paulinzella. Mit Recht wird sie in Dehios „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler“ als eine der schönsten klassizistischen Orgelprospekte in Thüringen bezeichnet. Die stuckierten Ornamente des Prospekts können mit Sicherheit ebenfalls Coudray zugeschrieben werden. Schon der dreiachsige, von Pilastern gegliederte, Aufbau des Orgelprospektes mit einer Gebälkzone und einer Attika im Mittelteil spricht für einen Architekten als entwerfenden Künstler. Die antikisierende Ornamentik schließlich weist in Einzelheiten direkt auf Coudray hin. So sind die schmalen Blattkapitelle der Pilaster, die dem Athener Monument des Lysikrates entnommen sind, von Coudray mehrfach in verschiedenen Variationen verwendet worden.

   

Wie sehr Coudray die Rastenberger Kirche selbst schätzte, geht daraus hervor, daß er auch ihre Fertigstellung besonders erwähnte: „Die Kirche zu Rastenberg wurde am Reformationstag [1826] eingeweiht."4  Am Beispiel der Rastenberger Liebfrauenkirche ist der von Durand propagierte Rundbogenstil von Coudray am überzeugendsten umgesetzt worden.

Gewissenhaft achtete Coudray darauf, daß seine Vorstellungen auch durch seine Untergebenen berücksichtigt wurden, wie beispielsweise Kirchners Entwürfe für die Kirche in Kleinrudestedt noch zehn Jahre später zeigen.  Die Altarwand mit ihren gleichhohen Geschossen, sowie die durch Pilaster und Gebälkzonenen hervorgerufene lineare Struktur des gesamten Aufbaus oder die Rundbogenportale erinnern aber auch an die normierten Fassadenrisse seines Lehrers Durand.

Fast alle Kirchen, die von der Oberbaubehörde zwischen 1820 und 1845 errichtet wurden, werden von einem Turm beherrscht, dessen Erdgeschoß häufig als Sakristei in den Saalbau einbezogen wird. Belichtet werden die Kirchen durch schmale, wandhohe Fenster. Wird der Kirchenraum von einem Tonnengewölbe abgeschlossen, sorgen Dachgauben, deren Fenster in die Tonne einschneiden, für zusätzliches Licht. Im Außenbau verbleiben viele Kirchen werksteinsichtig, die Fassaden werden durch Architekturglieder wie Lisenen, Eckgesimse oder Fensterumrahmungen zusätzlich akzentuiert. Verputzte Kirchen erhalten meistens einen hellen, ockerfarbenen Anstrich, die Gliederungselemente wie Fensterumrahmungen und Türeinfassungen werden im gleichen Ton gestrichen. In den Innenräumen herrschen weißliche und hellgraue Töne vor, die eine Steinsichtigkeit vortäuschen sollen. Gelegentlich werden einzelne Architekturglieder wie Kapitelle oder Gesimse vergoldet, um Glanzlichter aufzusetzen.

 

Eingänge werden als rundbogiges Portal gestaltet, dem eine offene, ebenfalls rundbogige Vorhalle zugeordnet ist, die von einem flachen Giebel überdacht wird. Auch die Portalnischen sind dem Formenkanon Durands entnommen und nähern sich standardisierten Typenentwürfen, wie das Beispiel der Kirche in Kleinrudestedt.5

In den Weimarer Kunstsammlungen hat sich aus der Pariser Zeit ein Übungsblatt mit Hoftoren und Portalen erhalten, unter denen sich auch der bei den Kirchen verwandte Typus befindet.

Obwohl sich von Coudray kaum Zeichnungen zu den durch die Oberbaubehörde errichteten Kirchen erhalten haben, ist seine in Paris von Durand geprägte Formensprache an den Kirchengebäuden deutlich ablesbar. Zu den unter Aufsicht der Behörde entstandenen Kirchen finden sich eine Reihe von Zeichnungen der am Bau beteiligten Mitarbeiter wie Steiner, Heß oder Kirchner im Aktenbestand des Landeskirchenarchivs in Eisenach. Einzelne, immer wiederkehrende, Architekturelemente wie die hölzernen Tonnengewölbe der Saalkirchen, der zweigeschossige Kanzelaltar oder die halbrund abgeschlossenen Portalnischen mit ihren flachen Satteldächern sind einander so ähnlich, daß sie fast als standardisierte Typenelemente bezeichnet werden können.

 

Besonders deutlich wird dies an den Entwürfen des Baukondukteurs Kirchner für die Kirche von Kleinrudestedt im Landkreis Sömmerda, deren Kirchenschiff leider 1889 abgerissen wurde. Ihre ehemalige Westfassade mit dem dreibogigen Eingangsportal und den darüber angebrachten Arkaden sind fast wörtlich der von Coudray gebauten Kirche in Rastenberg entnommen. Das gleiche gilt von den Seitenportalen und den Fenstern mit den ihnen zugeordneten Dachgauben.

 

Der dreiachsige, von einem Dreiecksgiebel abgeschlossene Kanzelaltar der Kirche zu Kleinrudestedt findet sich in verwandter Form in der Kirche von Hopfgarten bei Weimar wieder, die ebenfalls unter der persönlichen Leitung Coudrays entstanden ist. Der Typus des zweigeschossigen Kanzelaltars kann als charakteristisches Merkmal der von Coudray und der Oberbaubehörde verantworteten Kirchenbauten bezeichnet werden.

 
 

 

 

  • 1Heß war verantwortlich für die Kirchenneubauten in Troistedt, Dorfsulza im Weimarer Land, in Mittelpöllnitz im Saale-Orla-Kreis und in Großebersdorf bei Greiz.
  • 2Coudray, Aufzeichnung seiner „Lebens-Ereignisse“, abgedruckt in Walther Schneemann, C. W. Coudray, Goethes Baumeister, Weimar 1943, S. 119 f.
  • 3Pfarramt Rastenberg, Ortschronik, o. J. Bl. 5; - Anonymus, 1826 – 1926. Zur Erinnerung an das Fest der 100-jährigen Kirchweihe in Rastenberg, Rastenberg 1926, S. 8.
  • 4Coudray, „Lebens-Ereignisse“, Schneemann 1943, S. 124.
  • 5Durand, Preçis des leçons, Paris 1805, Teil 1, Taf. 3.
Background Image

Im Zuge der Neuordnung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenachnach dem Wiener Kongreß war Coudray als Mitglied der Landesdirektion auch für das Konsistorialbauwesen verantwortlich. In seiner Zeit als Oberbaudirektor wurden über 25 Kirchen in den thüringischen Gebieten errichtet.1 Die meisten ersetzten baufällig gewordene Vorgängerbauten oder durch Brand zerstörte Kirchen. War der Verfall eines Gebäudes so weit fortgeschritten, daß ein Gottesdienst aus Sicherheitsgründen nicht mehr stattfinden konnte, wurde in der Regel vom örtlichen Pfarrer über die zuständige Kircheninspektion ein Antrag an die Oberkonsistorien in Weimar oder Eisenach gestellt. Durch ein Mitglied des betreffenden Oberkonsistoriums wurde der Antrag dann in den regelmäßigen Sitzungen der Oberbaubehörde besprochen und ein Angestellter der Bauverwaltung mit der Untersuchung der Kirche beauftragt. War ein Neubau erforderlich, so legte meistens der Mitarbeiter der Behörde, der den Baubefund erstellt hatte, auch die Pläne für den Kirchenbau vor. Coudray behielt sich als Oberbaudirektor die endgültige Entscheidung vor oder erstellte eigene Entwürfe, die dann vor Ort meistens durch einen Angestellten der Bauverwaltung umgesetzt wurden. Vor Baubeginn musste jeweils die Genehmigung des Großherzogs eingeholt werden.

Fast alle bekannten Neubauten zwischen 1816 und 1845 wurden von der Oberbaubehörde ausgeführt. Nur in den seltensten Fällen können ausländische Baumeister benannt werden. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit als Oberbaudirektor zeichnete Coudrays zu diesem Zeitpunkt einziger Mitarbeiter, Baurat Carl Friedrich Steiner, für die Durchführung verschiedener Kirchenbauten verantwortlich, so für die 1820 errichtete Kirche von Kalbsrieth im Kyffhäuserkreis und die gleichzeitig erbaute Kirche in Süßenborn bei Weimar. Die weitaus meisten Kirchen im Großherzogtum errichtete Coudray in enger Zusammenarbeit mit Heinrich Heß. Heß war der fähigste Mitarbeiter Coudrays in der Oberbaubehörde. Er hatte in Heidelberg und Jena „Cameralwissenschaften, Architektur, sowie Wasser- und Wegebau“ studiert. Nach der Rückkehr von einer mehrjährigen Studienreise, die ihn nach Holland, Frankreich und Italien führte, widmete sich Heß vorzugsweise dem Kirchenbau in Thüringen und lieferte für mehrere Kirchen eigenständige Entwürfe ab.2 In Rastenberg war er als Bauleiter Coudrays für die Durchführung des Neubaus der Liebfrauenkirche verantwortlich.

  • 1Im Folgenden stütze ich mich auf die ausführlichen und gewissenhaften Ausführungen in Kathrin Grokes Dissertation. Vgl. Kathrin Groke, Der Prozeß der „Landesverschönerung“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung des Wirkens von Clemens Wenzeslaus Coudray im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zwischen 1816 und 1845. Diss. Bauhaus-Universität Weimar 2003, S. 77 – 84. 
  • 2Heß war verantwortlich für die Kirchenneubauten in Troistedt, Dorfsulza im Weimarer Land, in Mittelpöllnitz im Saale-Orla-Kreis und in Großebersdorf bei Greiz.
Clemens Wenzeslaus Coudray, hier als Herzoglicher Oberbaudirektor zu Weimar in seinem 50. Lebensjahr. Eine Zeichnung von Schmeller. Mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Klassik Weimar
Clemens Wenzeslaus Coudray, hier als Herzoglicher Oberbaudirektor zu Weimar in seinem 50. Lebensjahr. Eine Zeichnung von Schmeller. Mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Klassik Weimar

 

Die unter Coudrays Leitung entwickelten Kirchen folgen in der Grundrißanlage meistens der seit dem Mittelalter in Thüringen üblichen Form einer rechteckigen Saalkirche mit einem Turm. Die in Thüringen häufigen Osttürme werden, auch wenn sie von einem Vorgängerbau übernommen wurden, für den Ausbau einer Sakristei mit vorgestelltem Kanzelaltar genutzt. Häufig wandelt Coudray den Turm dahingehend ab, daß der obere Teil in ein oktogonales Turmgeschoß übergeht und von einer ebenfalls oktogonalen Laterne oder einer geschweiften Haube abgeschlossen wird. Im Nachlaß Coudrays befindet sich ein unbezeichneter Entwurf zu einem Kirchturm, der möglicherweise eine Variante zum Kirchturm in Rastenberg oder eine Studie zu einem Typenentwurf  betrifft. Für einen Typenentwurf spricht, daß in der Zeichnung die Anbindung an ein Kirchenschiff fehlt. Der Entwurf enthält alle Elemente, die Coudray in den Türmen seiner Kirchenbauten zur Anwendung bringt.

background

Für eine typologische Studie zum Thema Kirchturm sprechen auch die sorgfältig ausgearbeiteten Darstellungen der Dachkonstruktionen von Turmhelm und der Haube über der Laterne, sowie die genauen Darstellungen der Glockenstühle. Die Turmfenster, beziehungsweise die Schalllöcher werden durch die Größe, Anzahl und Anbringung der Glocken bestimmt. So hängt die große Glocke vor einem großen Fenster, die kleinen Glocken vor runden Schalllöchern.

Auch für den Kirchinnenraum versuchte Coudray, verbindliche Ausdrucksformen umzusetzen. Eine Grundregel für den protestantischen Kirchenbau, die schon im 17. und 18. Jahrhundert Gültigkeit besaß, bestimmt die Stellung von Altar, Kanzel und Taufstein in der Mittelachse der Kirche. Der Berliner Architekt Louis Catel hatte diese Regel in seiner Schrift „Grundzüge einer Theorie der Bauart protestantischer Kirchen“ 1815 noch einmal bekräftigt, und für Coudray wurde sie zur Maxime in den meisten seiner Kirchenbauten.

Fast alle von der Oberbaubehördebetreuten Sakralbauten sind Saalkirchen mit zweigeschossigen Emporen. Der Kanzelaltar ist immer zweigeschossig mit dreiachsiger Pilastergliederung. Die Kanzelwand wird meistens von einem Giebel abgeschlossen, der die Wandbreite oder nur den Mittelrisalit umfasst. Die Altarwand assoziiert im Obergeschoß einen antiken Triumphbogen, der Gesamtaufbau läßt dagegen eher an Kirchenfassaden der oberitalienischen Frührenaissance denken, ohne daß aber ein bestimmtes Vorbild zu benennen wäre.

 

In Coudrays Nachlaß haben sich nur wenige Zeichnungen zu Thüringer Kirchen erhalten. Einen sehr wichtigen Entwurf bildet eine Skizze Coudrays zu einem Kanzelaltar. Die dem Palladiomotiv ähnliche Form, hier mit dem sogenannten syrischen Bogen, findet sich in der römischen Antike am Kanopos der Villa Hadriana genau so wie in der Renaissance an der Gartenfassade der Villa Medici in Rom oder der Loggia im Hof der Villa Giulia. In der Gesamtkomposition erscheint die in den Kirchenraum eingestellte Kanzelwand Coudrays als eigenständige Architektur in Form einer Fassade. Für welche Kirche der hier abgebildete  Entwurf bestimmt war, ist angesichts der sehr ähnlichen Motive in mehreren Kirchen Thüringens nicht festzustellen.

Coudray KircheDie ausgeprägteste Form eines Kanzelaltars zeigen die vorzüglich restaurierten Kirchen von Rastenberg und Hopfgarten. Beide Kirchen ähneln sich stark im Aufbau ihrer Innenräume. Das jeweilige Kirchenschiff wird von einer Holztonne überwölbt, die zweigeschossigen Emporen sind flach gedeckt.Durch den Einbau der Altarwand vor den Turm ist die Kanzel in Rastenberg und in den meisten Saalkirchen über das Turmgeschoß leicht zu erreichen.

Kirchen Altar Rastenberg Kirche Hopfgarten

Background Image

Den bedeutendsten Kirchenneubau Coudrays stellt die 1826 geweihte Liebfrauenkirche in Rastenberg dar. In seinen Lebenserinnerungen erwähnt er u.a. die neuen Kirchenbauten in Tannroda und Zickra und fährt dann fort: „den wichtigeren Kirchenbau erhielt ich zu Rastenberg nach dem Brande, welcher dieses Städtchen größtentheils verheerte.“1 Nach dem erwähnten Brand im Jahre 1824 konnte der Bauplatz in Rastenberg frei gewählt werden, sodaß der stattliche Bau den baumbestandenen Platz wie den Ort gleichermaßen dominiert. Die dem weiten und offenen Platz zugewandte Westfassade ist durch einen zweigeschossigen, reich gestalteten Mittelrisalit besonders hervorgehoben. Über drei halbrund abgeschlossenen Eingangsportalen ist eine fünfachsige Arkadenreihe angeordnet. Drei der Arkaden sind als Fenster geöffnet. Der Risalit ist von kräftigen Lisenen umrahmt und wird von einem hohen, in die Dachzone reichenden Giebel abgeschlossen. Die für den Ort sehr große Kirche weist sieben Fensterachsen auf. Der über einem Quadrat errichtete Ostturm geht im Obergeschoß in einen achteckigen Turmaufbau über. An den beiden Längsseiten sind jeweils in der Mitte die von Coudray häufig verwendeten Rundbogenportale vor die Fassade gesetzt. Dach, Gauben und Turmlaterne sind verschiefert.

  • 1Coudray, Aufzeichnung seiner „Lebens-Ereignisse“, abgedruckt in Walther Schneemann, C. W. Coudray, Goethes Baumeister, Weimar 1943, S. 119 f.
background

Die nicht sehr regelmäßig behauenen Quader des gesamten Baues lassen vermuten, daß die Kirche ursprünglich mit Ausnahme der Gliederungselemente verputzt war. Nach Coudrays Entwurf wurden die Bauzeichnungen von seinem Mitarbeiter Heinrich Heß angefertigt, der vor Ort auch die Bauleitung innehatte.1 Die von innen nach außen konsequent durchkonstruierte Kirche stellt den überzeugendsten und qualitätvollsten Sakralbau Coudrays dar.

Im Kircheninnern markieren die Pfeiler der zweigeschossigen Emporen die sieben Fensterachsen der Kirche, und über jedem Fenster ist eine Dachgaube angebracht, die in die tonnengewölbte Decke einschneidet und die Saalkirche auch von oben gleichmäßig ausleuchtet. Farbig abgesetzte Gurtbänder über den Emporenpfeilern unterstreichen die tektonische Struktur.

  • 1Pfarramt Rastenberg, Ortschronik, o. J. Bl. 5; - Anonymus, 1826 – 1926. Zur Erinnerung an das Fest der 100-jährigen Kirchweihe in Rastenberg, Rastenberg 1926, S. 8.
Background Image

Die Farbigkeit des Innenraums ähnelt denen anderer Kirchen Coudrays. Tragende Architekturglieder wie Pfeiler und Pilaster sind weiß gestrichen, Wölbung, Decken und Wandfelder in einem hellen Steingrau gefasst, Die Brüstungen der Emporen sind hellblau und weiß abgesetzt. Sparsame Vergoldungen an Architekturgliedern erhöhen den festlichen Eindruck des Gotteshauses.

background

An der Westwand des Kirchenschiffsist nur eine Empore angebracht, um ausreichend Platz für die große Orgel zur Verfügung zu haben. Die Orgel selbst stammt von dem bekannten Thüringer Orgelbauer Johann Friedrich Schulze aus Paulinzella. Mit Recht wird sie in Dehios „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler“ als eine der schönsten klassizistischen Orgelprospekte in Thüringen bezeichnet. Die stuckierten Ornamente des Prospekts können mit Sicherheit ebenfalls Coudray zugeschrieben werden. Schon der dreiachsige, von Pilastern gegliederte, Aufbau des Orgelprospektes mit einer Gebälkzone und einer Attika im Mittelteil spricht für einen Architekten als entwerfenden Künstler. Die antikisierende Ornamentik schließlich weist in Einzelheiten direkt auf Coudray hin. So sind die schmalen Blattkapitelle der Pilaster, die dem Athener Monument des Lysikrates entnommen sind, von Coudray mehrfach in verschiedenen Variationen verwendet worden.

Coudray Orgel Verzierung Coudray Orgel Kapitell Coudray Kirche Nordflügel

Coudray Entwurf Gesellschaftshaus

Wie sehr Coudray die Rastenberger Kirche selbst schätzte, geht daraus hervor, daß er auch ihre Fertigstellung besonders erwähnte: „Die Kirche zu Rastenberg wurde am Reformationstag [1826] eingeweiht."1  Am Beispiel der Rastenberger Liebfrauenkirche ist der von Durand propagierte Rundbogenstil von Coudray am überzeugendsten umgesetzt worden.

  • 1Coudray, „Lebens-Ereignisse“, Schneemann 1943, S. 124.
background

Gewissenhaft achtete Coudray darauf, daß seine Vorstellungen auch durch seine Untergebenen berücksichtigt wurden, wie beispielsweise Kirchners Entwürfe für die Kirche in Kleinrudestedt noch zehn Jahre später zeigen.  Die Altarwand mit ihren gleichhohen Geschossen, sowie die durch Pilaster und Gebälkzonenen hervorgerufene lineare Struktur des gesamten Aufbaus oder die Rundbogenportale erinnern aber auch an die normierten Fassadenrisse seines Lehrers Durand.

Background Image

Fast alle Kirchen, die von der Oberbaubehörde zwischen 1820 und 1845 errichtet wurden, werden von einem Turm beherrscht, dessen Erdgeschoß häufig als Sakristei in den Saalbau einbezogen wird. Belichtet werden die Kirchen durch schmale, wandhohe Fenster. Wird der Kirchenraum von einem Tonnengewölbe abgeschlossen, sorgen Dachgauben, deren Fenster in die Tonne einschneiden, für zusätzliches Licht. Im Außenbau verbleiben viele Kirchen werksteinsichtig, die Fassaden werden durch Architekturglieder wie Lisenen, Eckgesimse oder Fensterumrahmungen zusätzlich akzentuiert. Verputzte Kirchen erhalten meistens einen hellen, ockerfarbenen Anstrich, die Gliederungselemente wie Fensterumrahmungen und Türeinfassungen werden im gleichen Ton gestrichen. In den Innenräumen herrschen weißliche und hellgraue Töne vor, die eine Steinsichtigkeit vortäuschen sollen. Gelegentlich werden einzelne Architekturglieder wie Kapitelle oder Gesimse vergoldet, um Glanzlichter aufzusetzen.

background

Eingänge werden als rundbogiges Portal gestaltet, dem eine offene, ebenfalls rundbogige Vorhalle zugeordnet ist, die von einem flachen Giebel überdacht wird. Auch die Portalnischen sind dem Formenkanon Durands entnommen und nähern sich standardisierten Typenentwürfen, wie das Beispiel der Kirche in Kleinrudestedt.1

In den Weimarer Kunstsammlungen hat sich aus der Pariser Zeit ein Übungsblatt mit Hoftoren und Portalen erhalten, unter denen sich auch der bei den Kirchen verwandte Typus befindet.

  • 1Durand, Preçis des leçons, Paris 1805, Teil 1, Taf. 3.
Background Image

Obwohl sich von Coudray kaum Zeichnungen zu den durch die Oberbaubehörde errichteten Kirchen erhalten haben, ist seine in Paris von Durand geprägte Formensprache an den Kirchengebäuden deutlich ablesbar. Zu den unter Aufsicht der Behörde entstandenen Kirchen finden sich eine Reihe von Zeichnungen der am Bau beteiligten Mitarbeiter wie Steiner, Heß oder Kirchner im Aktenbestand des Landeskirchenarchivs in Eisenach. Einzelne, immer wiederkehrende, Architekturelemente wie die hölzernen Tonnengewölbe der Saalkirchen, der zweigeschossige Kanzelaltar oder die halbrund abgeschlossenen Portalnischen mit ihren flachen Satteldächern sind einander so ähnlich, daß sie fast als standardisierte Typenelemente bezeichnet werden können.

Besonders deutlich wird dies an den Entwürfen des Baukondukteurs Kirchner für die Kirche von Kleinrudestedt im Landkreis Sömmerda, deren Kirchenschiff leider 1889 abgerissen wurde. Ihre ehemalige Westfassade mit dem dreibogigen Eingangsportal und den darüber angebrachten Arkaden sind fast wörtlich der von Coudray gebauten Kirche in Rastenberg entnommen. Das gleiche gilt von den Seitenportalen und den Fenstern mit den ihnen zugeordneten Dachgauben.

Coudray Seitenportal Coudray Durand Precis

Background Image

Der dreiachsige, von einem Dreiecksgiebel abgeschlossene Kanzelaltar der Kirche zu Kleinrudestedt findet sich in verwandter Form in der Kirche von Hopfgarten bei Weimar wieder, die ebenfalls unter der persönlichen Leitung Coudrays entstanden ist. Der Typus des zweigeschossigen Kanzelaltars kann als charakteristisches Merkmal der von Coudray und der Oberbaubehörde verantworteten Kirchenbauten bezeichnet werden.